Die Landtagswahl
Obwohl Sonntag, Onkel Zieper war früh aus den Federn. Er stand
unter der Dusche. Oh, war das schön. Ihm war, als würde der Schmutz
des Wahlkampfs abgespült. Würden auch die furchtbaren Lügen,
so wie jetzt das Wasser im Abfluß verschwand, aus den Köpfen
der Menschen verschwinden? Er hatte da seine Zweifel. Bei der letzen Bundestagswahl
hatten die Menschen nichts vergessen, hatten seine VDV, die Vereinigte
Deutsche Volkspartei, abgewählt. Nur jämmerliche vier Jahre waren
sie an der Macht gewesen. Wer hätte das gedacht? Als man vor sechs
Jahren den Zusammenschluß von SPD und Union gefeiert hatte, ja, da
waren sich alle Beobachter einig gewesen, die VDV würde für lange
Zeit die Geschicke Deutschlands bestimmen. Auch er war für die Vereinigung
gewesen. Zwischen den beiden Parteien gab es einfach keine Unterschiede
mehr. Sie SPD war mehr nach rechts und die Union weiter nach links gerückt.
Während Zieper sich abtrocknete, überlegte er, welche Krawatte
er heute am Wahltag, anziehen sollte. Bei den Krawatten mußte er
immer höllisch aufpassen. Auch hier spielte die Ausgewogenheit eine
große Rolle. Rot war natürlich auf jeden seiner Schlipse, aber
auch Schwarz. Und keine Farbe durfte überwiegen. Einmal war es sogar
vorgekommen, freche Journalisten hatten seinen Binder geklaut und tatsächlich
nachgemessen. Und wirklich, das Rot hatte überwogen. Was hatte man
ihm für Vorwürfe gemacht. Also, da mußte er drei Tage lang,
sozusagen als Buße, auch als Wiedergutmachung, einen tragen, dessen
schwarze Streifen deutlich breiter waren. Das war ihm natürlich eine
Lehre gewesen. Auch heute entschied er sich für eine gestreifte Krawatte.
Ja, sie war absolut ausgewogen gewoben. Aber während er sie band,
drückte er sie so hin, daß einer der Streifen, es war ein schwarzer,
etwas mehr im Knoten verschwand. Er lächelte zufrieden, und wenig
später gab er seine Stimme für die Landtagswahl ab. Nun, da er
sein staatsbürgerliches Soll erfüllt hatte, rief die Pflicht
der Partei. Er mußte seinen sonntäglichen Besuch in den Parteilokalen
machen. Heute würde er natürlich beide Lokale besuchen. Gewöhnlich
besuchte er sie abwechselnd. In welchem war er zuletzt gewesen? Er dachte
verzweifelt nach, überlegte hin und her, er konnte sich einfach nicht
erinnern. Auch mußte er darauf achten, nicht eines der beiden Lokale
durch einen längeren Aufenthalt zu bevorzugen. Seine Frau hatte ihm
eine elektronische Eieruhr geschenkt, und er hatte daraus eine Parteiuhr
gemacht. So hatte alles seine Richtigkeit. Ja, Onkel Zieper war ein wirklich
rechtschaffener Landesvorsitzender der VDV. Er hatte einmal den Vorschlag
gemacht, man solle ein neues, für beide Parteiflügel gemeinsames
Lokal nehmen. Aber da war er auf heftigsten Widerstand gestoßen.
Nein, nein, das wollten die Parteimitglieder nicht, schließlich könne
man doch nicht seine Kinderstube so völlig außer acht lassen.
Er grübelte über das Problem etwas längere Zeit nach. Man
müßte... man müßte.., da kam plötzlich ein Lächeln
über seine Lippen, ihm war eingefallen, er müsse heute zuerst
in die Schwarze Pumpe.
Als er das Lokal betrat, merkte er sofort, Glander war da. Er konnte
ihn zwar nicht sehen, eine Traube von Leibern klebte an ihm, aber kein
anderer würde heute soviel Zulauf erhalten. Jedermann war klar, nur
dank Glander wird es heute Abend einen überwältigen Sieg geben.
Aber das wäre nur der erste Streich. Der zweite wäre die Kanzlerkandidatur,
die Glander bei einem guten Ergebnis ohne jeden Zweifel erhalten würde.
Aber der dritte war natürlich der wichtigste. Glander wird die VDV
als Bundeskanzler an die bundesdeutschen Fleischtöpfe führen.
Jeder in der Schwarzen Pumpe war sich dessen sicher. Zieper ging zu der
Menschentraube, begrüßte Glander mit Handschlag, und auch das
Lächeln, das Zieper zeigte, war makellos. Nur seine Stimme krächzte
bei der Begrüßung und auch noch bei der Bestellung des Bieres.
Aber dafür, besser gesagt dagegen, ist dieser Gerstensaft gut geeignet,
besonders eine Parteikehle ist damit schnell geölt. Das Dafür
und das Dagegen beschäftigte ihn für einen Moment, aber wirklich
nur für einen ganz kurzen Gedanken. Wer von den hier Anwesenden würde
noch für Glander sein, wenn dessen Schandtaten erst ans Licht kämen?
Niemand! Zufrieden bestellte er sich noch ein Bier. Aber bevor er es bekam,
musterte ihn die junge Frau hinter der Theke. Und dann, ohne ihn weiter
zu fragen, rückte sie ihm tatsächlich seine Krawatte zurecht.
»Na, Onkel Zieper, hast du wieder das Schwarz versteckt? Onkel
Zieper, Onkel Zieper, so geht das nun wirklich nicht.«
Aber sie lächelte ihn an. Schade, dachte er, schade, man müßte
noch mal 30 sein. Zieper konnte ihr Handwerk nicht beobachten. Aber da
er wirklich die Natur des Menschen kannte, nahm er sich vor, die Krawatte
vor seinen Gang in die Rote Gurke zu richten.
In der Gaststube hatte der Wirt für den heutigen Tag eine Tafel
aufgestellt. Auf ihr wurden säuberlich die Wahlvoraussagen der Besucher
verzeichnet. Natürlich mußte auch Onkel Zieper seinen Tip abgeben.
Jeder wollte seine Prozentzahl wissen. Selbstverständlich kannte er
die letzte Meinungsumfrage, die bei 40 Prozent lag, aber er ließ
satte 48 Prozent eintragen. So etwas hebt gewaltig die Stimmung, auch die
des Wirts, ob der vielen leeren Biergläser, die schnell wieder gefüllt
werden mußten. Jetzt kam man so richtig in Schwung. Nun aber war
es Glander, der zur Mäßigung aufrief.
»Freunde, noch ist die Wahl nicht gewonnen. Man hat schon Pferde
vor der Apotheke kotzen sehen.«
»Ich noch nie.«
»Ich auch noch nie.«
»Ich auch nicht......«
So erscholl es im ganzen Raum. Dieser Optimismus ist kennzeichnend
für die Besucher der Schwarzen Pumpe. Hier gab es kaum einen Lehrer,
dafür rechtschaffene Handwerksmeister und auch so manchen Ortsvorsteher
vom nahen Dorf. Allein der Freiberufler waren so viele, daß sie mehrere
Bänke füllten. Zieper wußte um ihre Probleme. Er setzte
sich mitten unter sie. Ein Steuerberater erklärte ihm gleich, das
Wichtigste eines Steuersystems sei, es müsse gerecht sein. Ja, ja,
Zieper kannte diese Leier. Ist es für jedermann gerecht, dann ist
es so kompliziert, daß es kein normaler Mensch versteht. Außer
den Steuerberatern natürlich, die deshalb so gut verdienen. Aber der
kleine Mann, der sich den teuren Rat nicht leisten kann, der bleibt auf
der Strecke. Er behielt seine Gedanken für sich und lächelte
weise vor sich hin. Das mußte ein Apotheker als Aufforderung verstanden
haben.
»Onkel Zieper«, auch der rechte Kreis nannte ihn inzwischen
liebevoll so, »wenn das mit dem Internet so weiter geht, dann kann
ich meine Apotheke bald schließen.«
»Ist es so schlimm?«, Zieper tat unwissend.
»Schlimm ist gar kein Ausdruck, es ist eine Katastrophe. Die
klicken eine Internetseite in Holland an, geben ihre Patientennummer ein,
die Kasse stellt dann fest, was der Arzt verschrieben hat und überweist
das Geld. Einen Tag später hat der Patient das Medikament.«
»Das wußte ich gar nicht.«
»Ja, das haben die Freiheitlichen eingeführt, diese Schweine.
Früher waren sie eine Stütze der Apotheker. Onkel Zieper, das
ist der totale Überwachungsstaat, da kann sich keiner mehr einen gesunden
Tripper leisten.«
»Ja, das muß geändert werden«, versprach er.
Und vor seinem geistigen Auge sah er sich im Wartezimmer eines Hautarztes
sitzen, das war in seiner Sturm- und Drangzeit gewesen. Und unwillkürlich
faßte er sich in den Schritt. Oh, hatte seine Harnröhre gebrannt.
Man müßte es Brenner nennen. Aber einen gesunden Brenner? Nein
danke. Seine Hand ging, als wäre sie ihm zu heiß geworden, schnell
zum Kopf zurück, und er wiederholte:
»Ja, das muß geändert werden.«
»Man müßte das ganze Internet in die Luft sprengen«,
forderte ein anderer.
»Aber, aber Herr Professor Rundstück, sie sind doch Jurist.«
»Jawohl, in die Luft sprengen! Onkel Zieper, uns Professoren
braucht man auch bald nicht mehr. Die Hörsäle werden immer leerer,
alle schauen sich die Vorlesungen im Internet an.«
»Ja, wer hätte das gedacht, aber der Fortschritt ist nun
einmal nicht aufzuhalten«, murmelte Onkel Zieper bedauernd, fügte
jedoch lächelnd hinzu, »aber wenn sprengen, dann mit Nitroglyzerin.«
»Wie man das herstellen kann, steht auch im Internet.«
Jetzt wurde Onkel Zieper tatsächlich nachdenklich. Aber heute
wollte er sich nicht mit solchen schrecklichen Dingen belasten. Er versprach
darüber eine Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen.
»Nein, eine Arbeitsgruppe reicht nicht. Wenn Glander Bundeskanzler
ist, muß er eine Kommission berufen.«
Onkel Zieper nickte, sagte aber nichts. Dachte an Glander, der keine
Kommission würde einsetzen können, dachte an Hubert und den Verfassungsschutz.
Nein, überlegte er, zu dem Schlossermeister setze ich mich nicht,
auch nicht zu dem Schornsteinfeger. Die wollen bestimmt extra Vergütungen
für ihre staatsbürgerliche Pflicht, der Polizei oder den Geheimdiensten
bei der Anbringung von Wanzen behilflich zu sein. Er trank sein Bier aus,
klopfte noch dem einen und anderen auf die Schulter, ging wieder an die
Theke, schaute auf die Parteiuhr, ja für einen Schnaps hätte
er noch Zeit, freute sich über die junge Frau, lächelte sie an,
dachte an den Brenner, und da klingelte auch schon die Parteiruhr. Als
er die Schwarze Pumpe verließ, atmete er tief durch, schüttelte
den Kopf. Nein, von Optimismus, war nichts zu spüren gewesen. Nur
von Hunger, Hunger nach den Fleischtöpfen.
Als Onkel Zieper spät abends unter die Bettdecke kroch, schlief
er zufrieden ein. Ja, die VDV hatte die Wahl gewonnen. Mit 43 Prozent hatte
sie zwar die absolute Mehrheit verfehlt, aber es war ein überwältigender
Sieg. Sieben Prozentpunkte waren dazu gekommen. Für die Grünen
war es noch besser gelaufen. Sie hatten sich zwar auch um sieben Prozent
steigern können, aber ihr Zuwachs war relativ gesehen, beträchtlich
höher. Kurz bevor Onkel Zieper sich zurückzog, wurde Glander
von der Parteiführung zum Kanzlerkandidaten für die in vier Monaten
stattfindenden Bundestagswahlen bestimmt. Alle waren sie sich einig gewesen,
nur mit Glander würde man die Bundestagswahl gewinnen.
copyright: ach-satire.de Auszug aus dem Roman "Der Milliardenvirus"
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